“Wenn die Eule mit den Flügeln schlägt, ist davon nichts zu hören. Wenn dies ein Adler oder ein Rabe tut, kann man das Rauschen des Flügelschlages gut wahrnehmen.“ Das sind Bilder, die bei Kindern sitzen. Und wenn sie dieses Wissen abrufen, tun sie das mit Stolz und Überzeugung.
Im Kindergarten in Bezau dürfen sie solche Erfahrungen zwei Mal in der Woche direkt in der Natur, im Wald machen. Dort lernen sie unmittelbar, was der Unterschied zwischen einer Fichte und einer Weißtanne ist und warum sich die Bäume allen vier Jahreszeiten anpassen. „Luag, dia Bömm sand scho grüscht füro Wiator“, sagen sie im Vorbeilaufen und dabei freut sich die Pädagogin, dass die Kinder dies verinnerlicht haben.
Regelmäßig steht sie vor der Frage: „Wie schaffe ich es, einem Kind komplexe Informationen so zu vermitteln, dass sie bei ihm nicht nur ankommen, sondern auch mit dem bisher Erlernten verknüpft werden?“ Eine klare Sprache ist das eine, Bilder und eigene Erfahrungen das andere.
Wieso etwa ist der Boden rings um einen Baum oft so weich? Wenn die Kinder solche Besonderheiten im Wald wahrnehmen, haben sie auch Spaß damit. Oft wird dieser lockere, federnde Bereich als Waldtrampolin verwendet. Die Kinder lernen nebenbei, dass sich unter der Erde, ein komplexes Wurzelsystem befindet und der Waldboden locker und sehr nährstoffreich ist.
Die Entdeckerfreude in diesem Alter ist enorm, die Motorik am Waldboden gefordert und das Sozialverhalten achtsam gelenkt. „Im Wald fühlen wir Dankbarkeit für die Natur und die vier Jahreszeiten – ich finde, sie sind unser größter Schatz!“ Elisabeth Mohr aus Andelsbuch leitet den Kindergarten in Bezau.
Das Gefühl des Verbundenseins mit der Natur und die Leidenschaft für ihre Geheimnisse vereint die Kindergartengruppe und lässt soziale Unterschiede weniger stark aufscheinen. Im Wald sind Differenzen zwischen nichtdeutschsprachigen und deutschsprachigen Kindern kaum spürbar, weil hier die Sinne gefordert sind und Kognitives stärker mit Motorik verknüpft wird.
Beim Mengenerfassen etwa werden fünf Stöckchen gesammelt, kleine und große geordnet, jeder und jede ist beschäftigt und in Bewegung. Wobei das Programm nicht strickt nach Schema verläuft. „Ich knüpfe dort an, wo das Interesse der Kinder liegt, wo ich die Begeisterung sehe bzw. merke“, so Mohr.
Beispielsweise gibt es in der Gruppe jemanden, der zuhause in einem Stall Schafe hat. Der Junge bringt oft Fotos von seinen Tieren mit und erzählt leidenschaftlich von ihrer Haltung. Wenn die Pädagogin auf diesen Input des Kindes eingeht und dieses Wissen wertschätzt, können die Kinder jedesmal andere Zusammenhänge daraus lernen. Die Kinder sind inzwischen schon wahre Schaf-Experten.
Methoden und Wissen hat sie sich erst in der Waldpädagogik und dann in der Ausbildung zum Naturführer angeeignet. Dieser ist relativ neu in Vorarlberg und eigentlich für Erwachsene konzipiert. Die Vermittlung an Kinder probiert Elisabeth als erste aus. Der Dank gilt unter anderem ihrem Arbeitgeber, der ihr diese Ausbildung finanziert hat.
Elisabeth ist überzeugt: „Man unterschätzt Kinder immer wieder, wenn es darum geht, was sie schon alles aufnehmen können.“ Hier geht es vor allem darum, dass die innere Haltung stimmt. Diese wird bei jedem Waldtag aufs Neue mit einem Lied für den Wald und seine Bewohner gestärkt. Achtsam wird er begrüßt.
Danach geht jedes Kind zu seinem persönlichen Lieblingsbaum und verbringt einige Minuten in Stille mit ihm, um ihn genau zu beobachten. Auf diese Weise wird Wachsen und Vergänglichkeit erfahren und Respekt vor dem Leben verinnerlicht.
Kreisläufe haben es an sich, dass sie sich immer weiter drehen. So ist es nicht verwunderlich, dass einige Kinder aus der Gruppe mit ihrer Leidenschaft für die Natur schon die Eltern angesteckt haben und in ihrer Freizeit Ausflüge in den Wald machen, um gemeinsam spielen, bauen, experimentieren, beobachten, staunen und genießen zu können.
Unser Tipp für Ihren Walderlebnistag: Jeder von Ihnen kennt das Spiel “Ich sehe was, was du nicht siehst”. Im Wald gibt es eine sinnliche Variante: “Ich höre was, was du nicht hörst.” Am besten mit verbundenen Augen spielen und staunen!
© Stefanie Hopfner, Kindergarten Bezau