Architektur, Holz und Lehmbau mit weltweiten Erfolgen

19.07.2018, 14:47 Uhr

Die Vorarlberger Baukultur steht in einer langen Tradition und spricht zugleich für aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen. Vorarlberger ArchitektInnen und ihr Umfeld leisten einen entscheidenden, weil nicht zuletzt sichtbaren Beitrag für die moderne, innovative und gestaltungsaffine Seite des Landes.

Immer wieder dient „die Architektur“ als Aushängeschild, wenn es darum geht, das Land zu präsentieren. Eine differenzierte Sichtweise sei hier jedoch angebracht, auch wenn eine besonders hohe Dichte an qualitätsvollen Bauten außer Zweifel steht.

“Im Holzbau ist Vorarlberg weltweit führend, aufbauend auch im Lehmbau”, so die Direktorin des Vorarlberger Architekturinstituts, Dr. Verena Konrad. Zudem wäre die Anzahl an hochwertigen Kommunal- und Gewerbebauten sehr hoch.

Die Lehmbau-Werkstatt von Martin Rauch in Schlins.

Eine Vorreiterrolle im ökologischen Bauen ließe sich ebenfalls schwer bestreiten, so Konrad. Die Bereitschaft der Bauherr*innen, in professionelle Gestaltungsarbeit zu investieren, trage hier ebenso zum Gelingen bei, wie die exzellente Arbeit der Handwerker*innen und Statiker*innen.

Den Herausforderungen rund um die Zersiedelungsthematik wird im landesweiten Raumbild-Prozess entgegengetreten. Verdichtung ist gefragt! Hier könnte auch eine „Marke Vorarlberg“ positiv wirken.

Ehrbares Erbe

Die Historie reicht auf die Vorarlberger Barockbaumeister Beer, Thumb, Kuen und Moosbrugger zurück. Sie manifestierten ihr Können vor rund 350 Jahren in Form von Kirchen und Klöstern vom Süddeutschen Raum bis ins Elsass.

Bauformen wie das Bregenzerwälderhaus, das Montafonerhaus, das Walserhaus oder das Rheintalhaus prägten das Zusammenleben der Vorarlberger Bevölkerung und sind bis heute sichtbare Elemente und Bezugspunkte für moderne Gestaltung.

Holz aus heimischen Wäldern spielte hier immer wieder eine zentrale Rolle bei der Materialwahl. Funktional gesehen waren es meist Mehrgenerationenhäuser, die auch den landwirtschaftlichen Teil integrierten. Diese großzügigen Bauten prägen viele Ortsbilder noch jetzt.

Ein weiteres wertvolles Erbe aus der agrarischen Zeit sind die Maisäß-Siedlungen im Montafon bzw. die Vorsäße im Bregenzerwald, die die Familien im Frühsommer bezogen. Teilweise tun sie das nach wie vor, andere vermieten sie als Ferienhäuser etc.. Mit dieser Bausubstanz wird in Vorarlberg großteils achtsam umgegangen. Sei es durch wohldurchdachte Renovierungen oder durch Neubauten, die die traditionelle Bauweise interpretieren.

Im ehemaligen Firmensitz der einst größten Textilfirma Österreichs, F.M. Hämmerle, haben sich eine Vielfalt von größeren und kleineren Unternehmen niedergelassen. Die Firma Henn ist besonders sorgsam mit dem über 100 Jahre alten Gebäude im Steinebach umgegangen.

Neue Ortsbilder durch Industrialisierung

Mit dem Wandel von der Agrar- zur Industriegesellschaft ab 1800 entstanden – wenig überraschend – auch neue Gebäudeformen. Ob an Flüssen, Bächen, mitten in der Stadt oder an entlegenen Stellen – viele von ihnen sind bis heute erhalten und teils hochwertig umgebaut und einschließlich innovativer Nutzungskonzepte neugestaltet. Beispielsweise die ehemalige Metallgießerei Rüscher mitten in Dornbirn, die mit den Architekten Dietrich Untertrifaller ein interaktives Naturerlebnis „inatura“ geschaffen hat. Im Steinebach, in dem einst ein großer Teil der Textilfirma F.M.Hämmerle untergebracht war, haben sich aktuell rund 70 verschiedene Firmen einquartiert.

Am Beispiel der Industrialisierung wird deutlich, dass Baukultur stets im sozialen Kontext zu sehen ist. Aufgrund der im Land vorherrschenden Realteilung waren gegen Ende der agrarischen Gesellschaft immer mehr Familien gezwungen, ihr Brot „in der Fabrik“ zu verdienen.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden Arbeiter aus dem Trentino angeworben, viel später aus Kärnten, der Steiermark, aus dem ehemaligen Jugoslawien sowie aus der Türkei.

Durch die genannte Realteilung zeigte sich aber auch ein Wesenszug der Vorarlberger Baulandschaft, der bis heute herausfordernd für all jene ist, die mit der räumlichen Gestaltung und Nutzung Vorarlbergs zu tun haben: Die zunehmende Zersiedelung, die mit dem wachsenden Wohlstand nach den schrecklichen Kriegsjahren und dem in Mode gekommenen Einfamilienhaus einen weiteren Schub bekam.

Typisches Siedlungsgebiet hier im Raum Feldkirch mit der Ill.

Architektur als revolutionäres Statement

Einen Gegenpol zur Provinzialität der Nachkriegsära setzte eine Gruppe von Lehrern, Künstlern, Planern und Architekten in den 1960er-Jahren, die später als Begründer der modernen Vorarlberger Architektur bekannt wurde. Mit Beispielen, wie der Reihenhausanlage Halde in Bludenz oder der Siedlung Ruhwiesen in Schlins setzten Hans Purin bzw. Rudolf Wäger einen Gegenpol zum Establishment. Diese Bewegung wurde später als erste Generation der neuen Vorarlberger Bauschule bezeichnet.
Es folgte in den 80er-Jahren eine zweite Generation von Architekten, die revolutionäre Ansätze verfolgte. Dietmar Eberle, Wolfgang Juen, Markus Koch und Norbert Mittersteiner konzipierten die Wohnanlage „Im Fang“.

Ein dazu verfasstes Resumée des berühmten Architekturjournalisten Otto Kapfinger klingt, als hätte er in einem Markenprozess rund um Vorarlberg mitgearbeitet: „Die wichtigste Gemeinsamkeit dieser Vorarlberger Baukünstler liegt sicher in jenem besonders ausgeprägten Sinn für Ökonomie – als Akt der Balance zwischen dem technisch machbaren und dem sozial Leist- und Vertretbaren.“

Einfachheit

Man baute und plante, zimmerte und verglaste und war sich selbst der besonderen Leistung vielleicht gar nicht immer bewusst, bis im Jahr 2000 das britische Lifestyle Magazin “Wallpaper” Vorarlberg als “the most progressive part of the planet when it comes to new architecture” beschrieb. „The hills are alive with outstanding architecture“, las man darin.

Wenig später kam eine französische Kuratorin, die die Ausstellung „Konstruktive Provokation – neues Bauen in Vorarlberg“ ab 2003 im französischen Kulturinstitut in Paris, dann in 17 französischen bzw. europäischen Städten und zum Schluss im KUB zeigte.

Das Kunsthaus Bregenz ist zwar von einem Schweizer Architekten geplant, dass ein Gebäude von diesem Format aber überhaupt entstehen konnte, dafür waren offene und weitsichtige Bauherren sowie kompetente Handwerker aus Vorarlberg entscheidend.

Das Kunsthaus Bregenz ist zwar von einem Schweizer Architekten geplant, dass ein Gebäude von diesem Format aber überhaupt entstehen konnte, dafür waren offene und weitsichtige Bauherren sowie kompetente Handwerker aus Vorarlberg entscheidend.
Das Kunsthaus Bregenz wiederum wurde zwar vom Schweizer Architekten Peter Zumthor geplant – dieser war aber von der Zusammenarbeit mit den Bregenzerwälder Handwerkern so begeistert, dass die Liäson bis heute anhält. Zumthor hat beispielsweise auch das Werkraumhaus Bregenzerwald entworfen. Für das Kunsthaus Bregenz erhielt Zumthor den Mies-van-der-Rohe-Preis. Später wurde ihm für sein Gesamtwerk der Pritzker Preis verliehen. Los Angeles beauftragte den Schweizer kürzlich mit der Planung eines Kunsthauses, weil Bregenz hier eine Vorbildwirkung hat.

Blick von außen schärft die Eigenwahrnehmung

Spätestens zum Zeitpunkt dieser genannten Erfolge wurde das Bewusstsein für die eigene Leistung gestärkt. Touristische Broschüren über das „Architekturland Vorarlberg“ entstanden und der Verein VAI – Vorarlberger Architektur Institut professionalisierte seine Strukturen.

Bis schließlich das österreichische Außenministerium, das mit einer Ausstellung über die Vorarlberger Baukultur durch sämtliche Österreichische Außenhandelsstellen – über 20 auf der ganzen Welt – tourte. Die „Getting Things Done“ startete ab 2014 im Werkraum Bregenzerwald. Kurator Wolfgang Fiel zeigte in dieser “Ausstellungsmaschine” das Phänomen der Vorarlberger Baukultur mit all ihren Zusammenhängen auf und fing gleichzeitig ihre Resonanz in den verschiedenen Ländern der Welt ein. Die Vorarlberger Architektur wurde für Interessierte immer besser zugänglich gemacht. Neben Führungen, die das VAI für ExpertInnen aus aller Welt organisierte, entstanden ab 2012 gemeinsam mit Vorarlberg Tourismus Routen, die per App informieren und lenken.

Die Vorarlberger Handwerker arbeiten mit den Architekten Hand in Hand. Auf Augenhöhe wird an den möglichen Lösungen getüftelt.

Wissen wird weiterverbreitet

Ein Universitätslehrgang „überholz“ findet in Schlosshofen statt und zahlreiche Vorarlberger ArchitektInnen lehren an Universitäten. Sie stehen damit in einer Tradition der Wissensvermittlung, die schon die Vorarlberger Barockbaumeister begonnen haben. Auch die wöchentlich erscheinende Serie in der Regionalzeitung über Vorarlberger Architektur, die seit 2007 vom VAI auch selbst entsprechend hochwertig verfasst wird, stärkt das Bewusstsein der breiten Bevölkerung für Baukultur. Sie dürfte weltweit einzigartig sein.
Sie stehen damit in einer Tradition der Wissensvermittlung, die schon die Vorarlberger Barockbaumeister begonnen haben. Auch die wöchentlich erscheinende Serie in der Regionalzeitung über Vorarlberger Architektur, die seit 2007 vom VAI auch selbst entsprechend hochwertig verfasst wird, stärkt das Bewusstsein der breiten Bevölkerung für Baukultur. Sie dürfte weltweit einzigartig sein.
Internationale Großprojekte gehen an Vorarlberger Architekt*innen, Handwerker*innen und Statiker*innen. Das Deutschlandhaus in Berlin ging an Marte.Marte.Architekten aus Feldkirch, das neue Münchner Konzerthaus wird von Cukrowicz Nachbaur Achitekten ZT GmbH in Bregenz geplant, Oskar Leo Kaufmann und Albert Rüf wurden vom Museum of Modern Art in New York eingeladen, ihr Holzhaus am Vorplatz zu zeigen – um nur einige wenige zu nennen.

Das Headquarters von Bachmann Electronic in Feldkirch ist nur ein Beispiel für Architektur als Bestandteil der Corporate Identity.

Schließlich kuratierte die Direktorin des VAI – Verena Konrad – 2018 den Österreichischen Pavillon der Biennale in Venedig und erreichte damit einen weiteren Meilenstein in der Außenwirkung der Vorarlberger Architekturszene.

Firmen, wie etwa Doppelmayr, Omicron und Loacker investieren in corporate architecture und dienen als Multiplikator für ihre internationalen Kunden und Mitarbeiter, indem sie nicht nur Vorarlberger Baukultur vermitteln, sondern auch innovative Wege für neue Arbeitsformen aufzeigen.

Gemeinden, wie Wolfurt, Ludesch oder Krumbach engagieren sich zukunftsorientiert, wenn es um ästhetisch gestaltete Kommunalbauten, Gemeindezentren und um die Einhaltung von Siedlungsgrenzen geht.

Im Holzbau wird immer mehr betont, wie entscheidend die Qualität der Vorarlberger FenstermacherInnen und der Vorarlberger Zimmerer für die Erfolge auf der ganzen Welt sind.

Ökologisches Bauen erfolgt auf mehreren Ebenen. Mit und ohne Haustechnik, etwa das 2226 in Lustenau hält seine Raumtemperatur konstant zwischen 22 und 26 Grad. Als Wärmequellen im Haus dienen jene, die sowieso anwesend sind: die Nutzer selbst. Baumschlager Eberle Architekten stecken dahinter.

Neben allen Erfolgen appelliert die Direktorin des VAI, mehr in Quartieren zu denken und weniger in Einzelobjekten. Gerade im Wohnbau gebe es hier noch viel Potential.

© Werkraum Bregenzerwald, Florian Holzherr | Markus Bühler-Rasom für Lehm Ton Erde Baukunst GmbH | Vorarlberger Holzbaukunst

Quelle: Architektur als Exponat, Gespräche über das Ausstellen. Jeannette Merker und Riklef Rambow. Jovis-Verlag. Baukunst in Vorarlberg seit 1980, Ein Führer zu 260 sehenswerten Bauten. Otto Kapfinger, Kunsthaus Bregenz und voarlberger architektur institut, Hatje-Verlag. Nachhaltige Architektur in Vorarlberg. Energiekonzepte und Konstruktionen, Ulrich Dangel, Birkenhäuser-Verlag.