Landschaftskultur verbindet Ursprung und Fortschritt

14.06.2018, 11:32 Uhr

Die natürlichen Gegebenheiten Vorarlbergs, seine Lage und Topografie, seine Geologie, seine Pflanzenwelt – sprich seine natürlichen Ressourcen, die über tausende von Jahren hinweg entstanden sind – sind eine der Grundlagen, die Vorarlberg so lebenswert machen.

Die Art, wie mit der Natur umgegangen wurde und wird, also die Haltung, mit der diese vorgegebene Landschaft kultiviert wurde, zeigt Werte bzw. Lebenseinstellungen. Um es vorwegzunehmen: Es sind Diversität, genossenschaftliche Organisationsformen, Nachhaltigkeit, Gestaltungskraft, Erfolgslust, Bodenständigkeit, sowie Herausforderungen, die zu Höchstleistungen zwingen und das Wesen der Menschen in diesem Land geprägt und herausgefordert haben.

Wertvolle Landschaften

Die natürlichen Gegebenheiten haben schon in der Mittelsteinzeit Menschen zum Verweilen eingeladen. Bis zum Mittelalter erlangte die Region mit Hohenems, Feldkirch und Bregenz eine durchaus nennenswerte Bedeutung. Allerdings befand man sich damals in einer von den Appenzellern umkämpften Randlage ohne bedeutende Bodenschätze. Es entstand weder eine Großstadt, noch blieben die Wehrburgen erhalten. (Eine wunderbare Ressource, das Wasser, gewann erst mit der Industrialisierung an Bedeutung.) Für majestätisch anmutende Paläste, Schlösser und Bischofssitze sind deshalb andere Regionen berühmt. Auch für die dazugehörenden Hofmusiker, wie Mozart und Haydn.

Randlage fördert Selbstbestimmtheit

Diesen Umstand könnte man vordergründig als Mangel interpretieren. Auf den zweiten Blick wird man aber feststellen, dass gerade dieses Manko zu einer Fülle von Charakteristiken führte, die Vorarlberg Erfolg gebracht haben.

Um ein Beispiel aus dem Agrarbereich herauszugreifen: Als einziges österreichisches Bundesland hat die Bundesforste in Vorarlberg keinen Einfluss. Hier organisiert man sich in autonomen Agrargenossenschaften.

Dieses basisdemokratische Denken findet sich in international erfolgreichen Themen, wie der Vorarlberger Bauschule der 60er-Jahre, wieder. Miteinander, genossenschaftlich stärker werden – das haben auch Projekte, wie die Käsestraße Bregenzerwald oder das Werkraumhaus Bregenzerwald erreicht. Diese Art, Herausforderungen zu meistern, wurde demnach schon lange geübt.

Berge fordern Bevölkerung heraus

Wieder zurück zu den natürlichen Gegebenheiten. Auf einer relativ kleinen Fläche spielt sich Diversität vom Bodensee bis zum Gletscher ab. Das Auge wird mitunter recht verwöhnt! 80% sind Gebirge, 20 % können als Tallagen bezeichnet werden.

Vorarlberg besitzt wertvolle Landschaften, attraktive Schluchten, Wasserfälle und Bergseen. Natürlich haben Tourismus und Energiewirtschaft Spuren in Form von Hochspannungsleitungen und Seilbahnen hinterlassen. Der Ausbau der Infrastrukturmaßnahmen führt regelmäßig zu öffentlichen Diskussionen.

Es gibt aber auch Zonen, in denen bisher äußerst maßvoll eingegriffen wurde und in denen die Biodiversität sehr hoch ist. Das Rheindelta als bedeutendstes Naturgebiet und größtes Feuchtgebiet am Bodensee beheimatet seltene Tiere und Pflanzen. Der Verwall, der Hohe Ifen und der Biosphärenpark Großes Walsertal sind Beispiele für große, naturräumlich wertvolle Gebiete im Land.

Jedoch: Die Tallagen sind relativ beschränkt und der bewohnte Teil macht gerade einmal 10 % aus. Eine Gegebenheit, die die Menschen seit jeher zu effizientem Wirtschaften und ressourcenschonendem Umgang gezwungen hat. Die familiäre und kleinstrukturierte Landwirtschaft fand teils kreative Lösungen im Umgang mit den knappen Flächen. Die Dreistufenlandwirtschaft im Bregenzerwald sowie die Vorsäß-Siedlungen im Montafon. Auch die Milch- und Käseproduktion ist eine Folge der vielen Hanglagen. In diesen Lebensformen trainierte man Fleiß und Bodenständigkeit sowie das Denken in Kreisläufen.

Realteilung zwingt zur Veränderung

Ein weiteres entscheidendes Moment kommt hinzu: Vorarlberg pflegte zur Zeit der agrarischen Bevölkerung als einziges österreichisches Bundesland das Erbrecht der Realteilung. D.h. jedes Kind einer Familie erhielt den selben Anteil. Die dadurch immer knapper werdenden Böden haben die bäuerliche Gesellschaft gezwungen, neue Wege zu gehen. Einige wählten die Auswanderung, schickten gar ihre Kinder ins Ausland oder suchten Arbeit in einer Fabrik. Hier waren die Arbeitsbedingungen anfänglich sehr schwierig. Es entstanden soziale Mängel und die Bemühungen vieler Fabrikanten, die Lebensbedingungen in Vorarlberg zu verbessern, setzten erst viel später ein. Nach dem Motto „Not macht erfinderisch“ hat die Leistungsorientiertheit, die man den Vorarlberger*innen nachsagt, in dieser Zeit wohl ihre Wurzeln.

Wasser

In den Anfängen der Industrialisierung brachte eine weitere natürliche Gegebenheit die Mühlen zum Drehen. Wasser! Die Vorarlberger Energiewirtschaft ist eine Erfolgsgeschichte, die mit Kraftwerken in Kennelbach, Dornbirn-Ebensand und dem damals innovativsten und größten Kraftwerk Österreichs in Andelsbuch, von wo aus auch die erste Verbundleitung Österreichs führte, begann. Sie sorgte für Wohlstand und gibt dem Land noch heute Stabilität. Dazu muss gesagt werden, dass die Errichtung des Silvretta-Stausees und Abschnitte der Hochalpenstraße teilweise von Zwangsarbeitern während des Nationalsozialismus erfolgte und zu den dunklen Kapiteln des Landes zählt. 1958 eröffnete das Lünerseewerk als weltweit größtes seiner Art. Viele andere Kraftwerke der VKW und Illwerke galten bei ihrer Errichtung als die innovativsten der Welt. Die Energiewirtschaft spielt keine unwesentliche Rolle, dass Vorarlberg heute eine der stärksten Wirtschaftsregionen Europas ist.

Kompaktheit und Lage im Vier-Länder-Eck

Einen weiteren Wesenszug hat die Natur vorgegeben: die gewisse Kompaktheit zwischen See und Gletscher. Ihr, der gut ausgebauten Infrastruktur und dem Tourismus ist es zu verdanken, dass Vorarlberg vom Phänomen der „Landflucht“ bisher weitgehend verschont geblieben ist und die Bergdörfer mit sehr wenigen Ausnahmen als vital bezeichnet werden können.

Auch die landschaftliche Offenheit gegenüber Bayern und der Schweiz mit den kontrahierenden hohen Bergketten im Osten und im Süden sowie Vorarlbergs Lage im Vierländereck haben Auswirkungen auf sein Profil.

Der Bodenseeraum inspiriert und befruchtet sich gegenseitig. Anspruchsvolle Kund*innen aus wirtschaftsstarken Nachbarregionen begünstigen Forschung und Entwicklung und haben das Industrieland Vorarlberg zu Österreichs Exportchampion heranwachsen lassen.
Natur und Mensch haben das Spiel in Vorarlberg bisher auf vielfältige Art gemeistert. Im Raumbild 2030, in der Ökolandstrategie, in der Tourismusstrategie, der Elektromobilitätsstrategie, der Wasserwirtschaftsstrategie, in der Radstrategie, im Wirtschaftsleitbild, in der Sportstrategie sowie im Konzept für Naturvielfalt und Landwirtschaft sind eine Reihe von Maßnahmen formuliert, damit diese Symbiose auch in Zukunft weiterwachsen kann. “Marke Vorarlberg“ könnte ihre Ziele bündeln und unterstützen.
Im Markenprozess vertreten folgende Personen den Zugang über die Landschaftskultur: Ruth Swoboda, Bertram Martin, Arthur Kanonier, Hildegard Burtscher sowie Verena Konrad.

© Frööd | Bregenzer Festspiele | Matthias Rhomberg | Daniel Zangerl, Montafon Tourismus | Manuela De Pretis | Sven Pfisterer

Quelle: Geschichte Vorarlbergs in drei Bänden. Alois Niederstätter/Meinrad Pichler, Universitätsverlag Wagner